Rote Revolution - Warum ein rotes Brasilien-Trikot die 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-22

Bra­si­lien spielt in Gelb. So war es, so ist es und so wird es wahr­schein­lich immer sein. Auch Luisa dos Anjos Car­doso (26) mag Gelb, diese fri­sche Farbe, die für Wärme und Lebens­freude steht – und für Bra­si­lien, den Fuß­ball-Rekord-Welt­meister. Doch was die diplo­mierte Desi­gnerin aus dem Städt­chen Uber­landia im Bun­des­staat Minas Gerais in den ver­gan­genen Monaten im bra­si­lia­ni­schen Fern­sehen sah, gefiel ihr gar nicht. Eine poli­tisch rechte Bewe­gung ging gegen die Begna­di­gung des mitt­ler­weile inhaf­tierten Ex-Staats­prä­si­denten Luiz Inacio Lula“ da Silva auf die Straße – dabei trugen die Demons­tranten zu großen Teilen gelbe Tri­kots mit dem Wappen des bra­si­lia­ni­schen Fuß­ball­ver­bandes CBF auf der Brust. Für Luisa dos Anjos Car­doso ist das Hemd, in dem einst Natio­nal­helden wie Pelé, Romario und Ronaldo zu Legenden wurden, damit unwi­der­bring­lich befleckt. Etwas Neues musste her, dachte sie. Und sollte damit prompt die nächste poli­ti­sche Span­nung aus­lösen.

Luisa dos Anjos Car­doso und ihre Freundin Mar­cela griffen zu ihren Skiz­zen­blö­cken, bewaff­neten sich mit roten Zei­chen­stiften und machten sie ans Werk. Heraus kam ein Trikot-Ent­wurf ganz nach dem Geschmack der poli­ti­schen Linken: Das blut­rote Hemd trug links, genau über dem Herzen, das Logo des bra­si­lia­ni­schen Ver­bandes CBF (Con­fe­deração Bra­sileira de Futebol). Rechts prangten, anstelle eines schnöden Nike-Logos, die Sym­bole des Sowjet-Kom­mu­nismus: Hammer und Sichel. Luisa dos Anjos Car­doso war zufrieden mit dem Werk und bot es im Internet zum Kauf an – zum sozia­lis­ti­schen Kampf­preis von 45 Reais, das sind umge­rechnet knapp zehn Euro.

Ableh­nung und wüste Beschimp­fungen

Die Reak­tionen? Durch­wachsen. Neben revo­lu­tio­närer Begeis­te­rung ern­tete Car­doso im Kom­men­tar­feld auch erbit­terte Ableh­nung und wüste Beschimp­fungen. Was zu erwarten war. Bra­si­lien im Jahr 2018, das ist ein inner­lich zer­ris­senes Land, in dem Arm und Reich, Schwarz und Weiß sowie Links und Rechts um poli­ti­schen Ein­fluss ringen. Schon 2014, wäh­rend der Welt­meis­ter­schaft im eigenen Land, tobten hef­tige Demons­tra­tionen, bei denen Stu­denten und sozial Schwache gegen die ungleiche Ver­tei­lung der Res­sourcen im Land pro­tes­tierten – oder ein­fach nur gegen schlechte Schulen und viel zu hohe Bus­preise. Seither ist alles noch viel schlimmer geworden in Bra­si­lien: Die dama­lige Staats­prä­si­dentin Dilma Rousseff, eine gemä­ßigte Linke, wurde 2016 unter frag­wür­digen Umständen ihres Amtes ent­hoben. Ex-Prä­si­dent Lula, ein Sozia­list, der von 2003 bis 2011 als gefei­erter Hoff­nungs­träger der Armen regiert hatte, wurde 2017 wegen angeb­li­cher Kor­rup­tion zu einer neun­ein­halb-jäh­rigen Haft­strafe ver­ur­teilt. Im Januar 2018 wurde das Urteil auf zwölf Jahre erhöht. Anfang April musste Lula ein­rü­cken.

Und so wird Bra­si­liens WM-Auf­tritt in diesem Jahr – befeuert von mas­siven sozialen Unruhen in Rio, Sao Paulo und andern­orts – auch zu einer hoch­po­li­ti­schen Ange­le­gen­heit. Zumal nicht wenige Natio­nal­spieler durchaus mit der poli­ti­schen Linken sym­pa­thi­sieren, wie sie schon 2014 wäh­rend der Heim-WM zum Aus­druck gebracht hatten. Dass Neymar, Mar­celo, David Luiz & Co. ihre Hymne vor jedem Spiel mit beson­derer Inbrunst und weit über die ein­ge­spielte Musik hinaus sangen, war auch als Pro­test gegen die sozialen Miss­stände im fünft­größten Land der Erde zu ver­stehen. In der zweiten Strophe, die im FIFA-Pro­to­koll nicht mehr vor­ge­sehen war, heißt es näm­lich unter anderem: „… wenn wir im Namen der Gerech­tig­keit dem Kampf uns stellen, wirst Du sehen, dass keiner Deiner Söhne flieht, und, dass nie­mand, der Dich liebt, den eigenen Tod fürchtet“. Eine Zeile, den radi­kale Linke sogar als Aufruf zum Klas­sen­kampf inter­pre­tieren.

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