Rote Revolution - Warum ein rotes Brasilien-Trikot die 11FREUNDE

Brasilien spielt in Gelb. So war es, so ist es und so wird es wahrscheinlich immer sein. Auch Luisa dos Anjos Cardoso (26) mag Gelb, diese frische Farbe, die für Wärme und Lebensfreude steht – und für Brasilien, den Fußball-Rekord-Weltmeister. Doch was die diplomierte Designerin aus dem Städtchen Uberlandia im Bundesstaat Minas Gerais in den vergangenen Monaten im brasilianischen Fernsehen sah, gefiel ihr gar nicht. Eine politisch rechte Bewegung ging gegen die Begnadigung des mittlerweile inhaftierten Ex-Staatspräsidenten Luiz Inacio „Lula“ da Silva auf die Straße – dabei trugen die Demonstranten zu großen Teilen gelbe Trikots mit dem Wappen des brasilianischen Fußballverbandes CBF auf der Brust. Für Luisa dos Anjos Cardoso ist das Hemd, in dem einst Nationalhelden wie Pelé, Romario und Ronaldo zu Legenden wurden, damit unwiderbringlich befleckt. Etwas Neues musste her, dachte sie. Und sollte damit prompt die nächste politische Spannung auslösen.
Luisa dos Anjos Cardoso und ihre Freundin Marcela griffen zu ihren Skizzenblöcken, bewaffneten sich mit roten Zeichenstiften und machten sie ans Werk. Heraus kam ein Trikot-Entwurf ganz nach dem Geschmack der politischen Linken: Das blutrote Hemd trug links, genau über dem Herzen, das Logo des brasilianischen Verbandes CBF (Confederação Brasileira de Futebol). Rechts prangten, anstelle eines schnöden Nike-Logos, die Symbole des Sowjet-Kommunismus: Hammer und Sichel. Luisa dos Anjos Cardoso war zufrieden mit dem Werk und bot es im Internet zum Kauf an – zum sozialistischen Kampfpreis von 45 Reais, das sind umgerechnet knapp zehn Euro.
Ablehnung und wüste Beschimpfungen
Die Reaktionen? Durchwachsen. Neben revolutionärer Begeisterung erntete Cardoso im Kommentarfeld auch erbitterte Ablehnung und wüste Beschimpfungen. Was zu erwarten war. Brasilien im Jahr 2018, das ist ein innerlich zerrissenes Land, in dem Arm und Reich, Schwarz und Weiß sowie Links und Rechts um politischen Einfluss ringen. Schon 2014, während der Weltmeisterschaft im eigenen Land, tobten heftige Demonstrationen, bei denen Studenten und sozial Schwache gegen die ungleiche Verteilung der Ressourcen im Land protestierten – oder einfach nur gegen schlechte Schulen und viel zu hohe Buspreise. Seither ist alles noch viel schlimmer geworden in Brasilien: Die damalige Staatspräsidentin Dilma Rousseff, eine gemäßigte Linke, wurde 2016 unter fragwürdigen Umständen ihres Amtes enthoben. Ex-Präsident Lula, ein Sozialist, der von 2003 bis 2011 als gefeierter Hoffnungsträger der Armen regiert hatte, wurde 2017 wegen angeblicher Korruption zu einer neuneinhalb-jährigen Haftstrafe verurteilt. Im Januar 2018 wurde das Urteil auf zwölf Jahre erhöht. Anfang April musste Lula einrücken.
Und so wird Brasiliens WM-Auftritt in diesem Jahr – befeuert von massiven sozialen Unruhen in Rio, Sao Paulo und andernorts – auch zu einer hochpolitischen Angelegenheit. Zumal nicht wenige Nationalspieler durchaus mit der politischen Linken sympathisieren, wie sie schon 2014 während der Heim-WM zum Ausdruck gebracht hatten. Dass Neymar, Marcelo, David Luiz & Co. ihre Hymne vor jedem Spiel mit besonderer Inbrunst und weit über die eingespielte Musik hinaus sangen, war auch als Protest gegen die sozialen Missstände im fünftgrößten Land der Erde zu verstehen. In der zweiten Strophe, die im FIFA-Protokoll nicht mehr vorgesehen war, heißt es nämlich unter anderem: „… wenn wir im Namen der Gerechtigkeit dem Kampf uns stellen, wirst Du sehen, dass keiner Deiner Söhne flieht, und, dass niemand, der Dich liebt, den eigenen Tod fürchtet“. Eine Zeile, den radikale Linke sogar als Aufruf zum Klassenkampf interpretieren.
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