Uschis Bier und Don Alfredo

Publish date: 2024-11-16

Wahr­schein­lich hätten es die Ein­tracht-Spieler auch ohne Uschi geschafft. Wären dank ihres großen Talents und des fin­digen Trai­ners Paul Oßwald 1959 Deut­scher Meister geworden und im fol­genden Jahr bis ins Finale des Euro­pa­po­kals der Lan­des­meister ein­ge­zogen. Ande­rer­seits belegt die Anek­dote um Ein­tracht Frank­furts Küchen­frau Uschi die größte Stärke der erfolg­rei­chen Mann­schaft: ihr Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl. Wäh­rend der End­runde der deut­schen Meis­ter­schaft 1959 kaser­nierte Trainer Oßwald seine Kicker sechs Wochen lang in der Sport­schule neben dem Wald­sta­dion: Die Bett­ruhe begann um 23 Uhr, Alkohol war streng ver­boten. Aller­dings sehnten sich die Spieler bei ihren gemüt­li­chen Abenden nach einem kühlen Bier. Küchen­frau Uschi hatte ein Ein­sehen. Sie füllte das Kalt­ge­tränk in eine Kaf­fee­kanne und schmug­gelte es an Oßwald vorbei. So konnten die Fuß­baller abends gemeinsam Gers­ten­saft genießen – aller­dings jeder nur eine Tasse.

Die Mann­schaft spielte eine per­fekte Meis­ter­schafts­end­runde und gewann alle sechs Par­tien in ihrer Gruppe. Ein famoser 7:2‑Sieg in Bremen lockte im fol­genden Heim­spiel 81?000 Besu­cher ins Sta­dion – gegen Pir­ma­sens. Diese Partie mar­kiert bis heute den Zuschau­er­re­kord im Wald­sta­dion. Ins­ge­samt verlor die Ein­tracht in der gesamten Saison 1958/59 nur zweimal und blieb in 29 Pflicht­spielen hin­ter­ein­ander unge­schlagen. Die her­aus­ra­genden Fuß­baller der tech­nisch starken, offensiv spie­lenden Elf waren Kapitän und Mit­tel­feld­spieler Alfred Pfaff, Rechts­außen Richard Kreß und der Halb­linke Dieter Lindner. Trainer Paul Oßwald bläute seinen risi­ko­freu­digen Spie­lern außerdem die nötige tak­ti­sche Dis­zi­plin ein. Er hat uns klar­ge­macht, dass wir den Gegner erst nie­der­kämpfen müssen, bevor wir ihn nie­der­spielen“, erin­nert sich Dieter Stinka, damals rechter Außen­läufer in Frank­furt, an das Credo seines frü­heren Coa­ches. Ein harter Hund“ war Oßwald den­noch nicht. Seine Spieler respek­tierten den Diplom-Sport­lehrer vor allem wegen seines großen Sach­ver­standes. Oßwald hatte bei Trai­ner­le­gende Otto Nerz gelernt und nach dem Zweiten Welt­krieg Kickers Offen­bach zu einer Spit­zen­mann­schaft geformt, 1957 war er einer der Mit­be­gründer des Bundes Deut­scher Fuß­ball-Lehrer. Gleich im ersten Jahr nach seinem Wechsel von Offen­bach zur Ein­tracht traf er dann im Meis­ter­schafts­fi­nale auf seinen ehe­ma­ligen Verein.

Die Ein­tracht suchte schnell die Ent­schei­dung

Das Oßwald-Derby“ ver­setzte ganz Frank­furt in einen Aus­nah­me­zu­stand. Das Spiel wurde in den Kinos der Stadt über­tragen und etwa 5000 Fans traten die weite Reise nach Berlin an, auch mehr als 2000 Anhänger der Kickers kamen ins Olym­pia­sta­dion. Ein­tracht Frank­furt war klarer Favorit, doch in den zwei Par­tien in der Ober­liga Süd hatte sich Oßwalds Team gegen die kampf­starken Offen­ba­cher sehr schwer getan und zweimal Remis gespielt. Im Finale suchte die Ein­tracht schnell die Ent­schei­dung, schon nach 16 Sekunden traf der Ungar István Sztani zum 1:0. Doch die Kickers hielten dagegen und nach 20 Minuten stand es bereits 2:2. In der Ver­län­ge­rung siegten die Frank­furter schließ­lich mit 5:3 und gewannen somit die erste und bis­lang ein­zige deut­sche Meis­ter­schaft für den hes­si­schen Tra­di­ti­ons­verein.

Die Begeis­te­rung der Fans bei der Ankunft der Mann­schaft in Frank­furt über­traf selbst den Stutt­garter Jubel­ma­ra­thon vom 19. Mai dieses Jahres. Mehr als 300?000 Men­schen fei­erten die Spieler, die auf einem großen Pfer­de­wagen vom Bahnhof zum Römer fuhren. Wie lange der Tross in der Stadt unter­wegs war, ist aller­dings nicht über­lie­fert. Die Vor­zei­chen für eine erfolg­reiche Saison im Euro­pa­pokal der Lan­des­meister standen für die Ein­tracht nach dem Meis­ter­titel 1959 zunächst nicht beson­ders gut. Die Stürmer Sztani und Fei­gen­span – beide hatten im Finale alle fünf Tore für Ein­tracht Frank­furt erzielt – unter­schrieben bei der zah­lungs­kräf­tigen Kon­kur­renz von Stan­dard Lüt­tich und 1860 Mün­chen. So wer­tete es der Verein schon als Erfolg, dass die Mann­schaft im Euro­pa­pokal die zweite Runde erreichte – der fin­ni­sche Meister KuPS Kuopio hatte seine Teil­nahme kurz­fristig zurück­ge­zogen. Aber nachdem die Ein­tracht im Ach­tel­fi­nale die Young Boys Bern sou­verän aus dem Wett­be­werb geke­gelt hatte, zeigte Oßwalds Elf gegen den Wiener Sport­klub ihr erstes Meis­ter­stück. Nach einem knappen Sieg im Hin­spiel setzten die Öster­rei­cher die Frank­furter im Rück­spiel gehörig unter Druck und führten mit 1:0. Doch in der zweiten Halb­zeit trat Kapitän Pfaff auf den Plan, den seine Mann­schafts­ka­me­raden in Anleh­nung an den großen Alfredo di Ste­fano nur Don Alfredo“ nannten. Er gab das Signal zur Offen­sive und seine Mit­spieler folgten ihm umge­hend. Auf einmal kom­bi­nierten sie wie in einem Trai­nings­spiel, schossen das 1:1 und erreichten das Halb­fi­nale.

Die Deut­schen waren so schnell“

Die zwei Par­tien gegen die favo­ri­sierten Glasgow Ran­gers begrün­deten dann end­gültig den Ruhm dieser Ein­tracht-Mann­schaft und riefen in ganz Europa ungläu­biges Staunen hervor. Im Hin­spiel fegten die deut­schen Ama­teur­ki­cker die schot­ti­schen Profis mit 6:1 vom Platz. Völlig per­plex schil­derte Ran­gers-Spieler Bill Ste­venson die Nie­der­lage: Die Deut­schen waren so schnell und schlugen uns mit unserer eigenen Waffe: dem Flü­gel­spiel. In der zweiten Halb­zeit wussten wir nicht mehr, wo oben und wo unten ist. Wir waren nur noch wie Stich­wort­geber für den Star dieser Show.“ Über­ra­gender Spieler auf dem Feld war erneut Don Alfredo“ Pfaff, er lei­tete nahezu jeden Angriff ein und erzielte zwei Tore. Die Schotten waren von seiner Dar­bie­tung derart begeis­tert, dass sie ihm vor dem Rück­spiel als Zei­chen ihrer Bewun­de­rung einen Hut, genauer: eine Melone schenkten. Nachdem die Frank­furter auch die Partie in Glasgow mit 6:3 gewonnen hatten, zollten die Ran­gers jedoch der gesamten Elf ihren Respekt, indem sie – heute kaum vor­stellbar – beim Aus­laufen aus dem Sta­dion ein Spa­lier für die Ein­tracht-Spieler bil­deten.

Frank­furts Sie­geszug durch Europa, der die Ein­tracht im Finale erneut in den Hampden Park führte, wurde dort aller­dings von Real Madrid jäh gestoppt. In einem berau­schenden End­spiel führten Oßwalds Mannen zunächst sogar 1:0, dann aber spielten Puskás, di Ste­fano & Co. wie von einem anderen Stern und gewannen nach atem­be­rau­benden 90 Minuten mit 7:3. Diesmal applau­dierten die Frank­furter den Sie­gern. Viel­leicht aber hat ihnen zum großen Tri­umph auch ein­fach nur Uschis Bier aus der Kaf­fee­kanne gefehlt.

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